Verlassene Orte üben eine ganz besondere Faszination aus. Sie erzählen Geschichten von vergangenen Tagen, von Menschen, die lachten, lebten, sich erholten und dann irgendwann einfach gingen. Einer dieser stillen Zeugen ist das Deutsche Erholungswerk.
Eingebettet in die Natur, abseits der großen Straßen, liegt es da wie eingefroren in der Zeit. Wer sich hineinwagt, taucht ein in eine Atmosphäre zwischen Nachkriegsnostalgie und langsamem Verfall.
Das Deutsche Erholungswerk
Ich betrete das Gebäude durch eine unscheinbare Seitentür. Der Boden knirscht unter meinen Schritten, feiner Staub liegt wie ein dünner Schleier über allem. Die Nachmittagssonne fällt durch das halb geöffnete Fenster in die Küche. Sie beleuchtet Gläser, die ordentlich aufgereiht neben dem Spülbecken stehen, als hätten sie auf den nächsten Besuch gewartet, der nie kam. Es riecht nach feuchtem Holz, nach Vergangenheit.
Ich gehe weiter, taste mich langsam durch Räume voller Stille. Die Gardinen sind orange, die Sofas mit altrosa Stoff bezogen. Ein Wohnzimmer wie aus einer anderen Zeit. Auf dem Tisch stehen Tassen, sauber arrangiert. Daneben ein Wasserkocher, als sei gerade erst jemand aufgestanden. Die Atmosphäre ist surreal. Nichts ist zerstört, nichts geplündert. Es fühlt sich eher an wie ein Ort, den man aus Höflichkeit nicht stört. Sowas findet sich leider heutzutage nur noch sehr selten.
Draußen, zwischen alten Bäumen, entdecke ich die kleinen Ferienhäuser. Teilweise versteckt im Dickicht, von Moos bedeckt, die Fenster zum Teil noch dekoriert. Ich betrete die erste der kleinen Wohnungen. Teppiche liegen noch aus, auf einem Stuhl ruht eine Decke, daneben ein Heizkörper, der wohl schon seit Jahren kalt geblieben ist. In den Badezimmern hängen Duschvorhänge mit bunten Entenmotiven. Ein Bild, das so skurril wie traurig wirkt.
Ich laufe von Häuschen zu Häuschen. In manchen liegen noch Bücher auf dem Nachttisch, in anderen finde ich Kinderschuhe, die vergessen in einer Ecke stehen. Alles wirkt so echt, so unberührt. Als ob das Leben hier nur pausiert, nicht beendet, wurde. Ich höre das Knarren der Türscharniere, wenn ich vorsichtig eintrete. In einem der Räume spiegelt sich mein eigenes Gesicht im Badezimmerspiegel. Für einen Moment bin ich damit also selbst ein Teil dieser Vergangenheit.
Zwischen den Häusern führt ein schmaler Weg durch den lichten Wald. Hier draußen ist es nicht still. Ich höre Kinder lachen, sehe eine Familie mit Picknickdecke auf einer Lichtung. Ein Mann wirft seinem Labrador einen Stock, der Hund bellt fröhlich und rennt los. Das Leben findet statt, direkt neben dem Vergessen. Dieser Kontrast trifft mich besonders: Während drinnen die Zeit stillsteht, pulsiert draußen der Alltag. Spaziergänger grüßen freundlich, einige bleiben neugierig stehen, als sie meine Kamera bemerken.
Ich nehme mir Zeit. Ich fotografiere. Ich versuche zu verstehen, wie ein Ort, der so viel Wärme ausstrahlt, einfach vergessen werden konnte. Es ist nicht der Verfall, der diesen Lost Place so besonders macht, sondern die Bewahrung. Die Alltäglichkeit, die in dieser Kulisse wie ein Echo wirkt. Und ich höre sie: die Gespräche, das Kaffeekränzchen, das Lachen der Kinder auf dem Flur.
Die Geschichte des Deutschen Erholungswerks
Das Deutsche Erholungswerk (DEW) wurde 1948 von der Bundesregierung initiiert, um Menschen aus Kriegsgebieten, Familien mit geringem Einkommen und Rentnern eine günstige Möglichkeit zur Erholung zu bieten. In der wirtschaftlich schweren Nachkriegszeit war das DEW eine soziale Einrichtung mit klarem Auftrag: Gesundheit, Erholung und Integration fördern – in einfachen, aber charmanten Unterkünften.
Die Häuser waren oft schlicht eingerichtet, aber liebevoll geführt. Hier wurde gemeinsam gekocht, gespielt, gewandert. Viele Kinder verbrachten hier ihre ersten Ferien. Die Einrichtungen standen meist in landschaftlich reizvollen Gegenden, um die Verbindung zur Natur zu stärken und einen Kontrast zum oft tristen Stadtleben zu schaffen.
Mit dem gesellschaftlichen Wandel, zunehmendem Individualtourismus und steigender Ansprüche an Komfort verlor das DEW ab den 90er-Jahren zunehmend an Bedeutung. Viele Häuser wurden geschlossen, manche verkauft – einige, wie dieses hier, einfach zurückgelassen. Heute sind sie stille Mahnmale einer Zeit, in der Erholung noch etwas Gemeinschaftliches war.
Der Besuch im verlassenen Haus des Deutschen Erholungswerks ist wie eine Zeitreise. Es ist kein spektakulärer Ort voller Graffiti und Chaos – sondern ein leiser, fast intimer Lost Place, der die Schönheit des Gewöhnlichen bewahrt hat. Wer sich darauf einlässt, wird mehr finden als Staub und Möbel – er wird Geschichten hören. Vielleicht auch seine eigene.
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