Zipfelpass 4 von 4 – Tag 7
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Zipfelpass 4 von 4 – Tag 7

Nun waren wir am Ziel der Steinbocktour angelangt, der Kemptner-Hütte. Im Vorhinein hatten wir uns allerdings dazu entschieden unsere Tour zu verlängern, um bis zur Nebelhorn zu wandern. Die letzten 6 Tage haben wir schon in den Beinen gespürt, wir haben uns aber fit genug gefühlt, um nicht abzusteigen und wollten unsere schwerste Tour antreten: 9 Stunden bis zum Prinz-Luitpold-Haus.

Durch die Erfahrungen der bisherigen Wanderungen haben wir uns entschieden, den Wecker auf 4.30 Uhr zu stellen. Als wir im Matratzen-Zimmer aufgewacht sind, waren schon einige Leute vor uns mit der selben Idee wach. Damit haben wir tatsächlich nicht gerechnet. Aber als “alte Hasen” in den Bergen haben wir uns natürlich nichts anmerken lassen und haben so getan, als wäre das alles völlig normal. Rational betrachtet ist es nicht unbedingt normal, im Urlaub um 4.45 Uhr die Wanderschuhe zu schüren, damit die nächste Unterkunft erreichen kann, aber okay.

In der Nacht gab es ein heftiges Gewitter und somit waren die Wege, eine Mischung aus Steinen und Gras, sehr rutschig. Da man beim Wandern sowieso die ganze Zeit nur auf den Weg schaut sind wir selbstverständlich den zahlreichen Salamandern ausgewichen, schließlich ist das deren natürlicher Lebensraum und nicht unserer.
Meine Freundin ist auf einem sehr schmalen Weg am Berg ausgerutscht und konnte sich gerade so noch fangen. Danach waren wir beide hellwach. Das Adrenalin schoss uns beiden direkt ins Blut. Sie verlor einen Wanderstock, den wir mit meinem Wanderstock wieder aufsammeln konnten. Ohne Wanderstöcke wäre diese Geschichte unglimpflich ausgegangen. Puh. Du kannst in den Bergen noch so achtsam sein, es benötigt tatsächlich nur einen Fehltritt, um sich wieder bewusst zu werden, welche Gefahren in den Bergen lauern. Bei uns war es glücklicherweise nur ein “Hallo-Wach-Effekt”. In diese Situation möchte ich sehr gerne nie wieder kommen.
Nach einer weiteren Stunde dem Berg hinauf haben wir uns dann entschlossen etwas zu essen. Unser zuvor gekauftes Frühstück war für Personen wie mich, die viel Wert auf ein nahrhaftes Frühstück legt, errnüchternd. Zwei Scheiben trockenes Brot, zwei Würste, ein Müsliriegel, ein Apfel und eine Banane. Gut, besser als nichts, aber für unsere Tour definitiv zu wenig.

Wir hatten uns auf einen spektakulären Sonnenaufgang gefreut, aber wir waren leider noch nicht ganz oben auf den Bergen, sodass wir darauf leider verzichten mussten. Zwischenzeitlich haben wir eine ganze Herde von Steinböcken gesehen, die netterweise ein paar Steine losgetreten haben. Das war okay, weil es nur kleine Steine waren und wir genügend Platz auf dem Weg hatten, um ausweichen zu können. Danach hatte ich ein echtes Tief und wir mussten pausieren. Bei mir ging nicht mehr viel, meine Knie taten sehr weh. Es gibt deutlich bessere Zeitpunkte für Schmerzen, schließlich hatten wir von da an noch 15 Kilometer und etliche Höhenmeter zu bewältigen.
Anschließend sind wir auf einem Berg einen kleinen Weg entlang gewandert und nach jedem Aufstieg dachten wir, wir seien auf dem Gipfel. Weit gefehlt, es ging immer und immer weiter hinauf. Die Aussicht war bombastisch, auf der rechten Seite lag Österreich, auf der linken Seite Deutschland und beide Aussichten haben sich gegenseitig übertrumpft. Nachdem wir auf dem “Rauheck” ankamen (auch dort verlief die deutsch-österreichische Grenze) haben wir Wanderer getroffen, die aus dem Tal für einen Tagesausflug auf den Gipfel gekommen sind. Wir haben dort eine ausgiebige Pause gemacht und sind ins Plaudern gekommen. Überhaupt war auffällig, dass alle Wanderer rücksichtsvoll und zuvorkommend waren, das war sehr schön.

Anschließend folgte ein Abstieg, meine Schmerzen in den Knien habe ich bei jedem Schritt gespürt. Ich habe versucht, jeden Schritt mit den Wanderstöcken abzufedern. Es sollte auch unser längster Abstieg der Tour sein. “Unten” angekommen, waren wir auf einer riesigen Kuhweide, diesmal mussten wir uns aber nicht durch die Kühe schlängeln. Wenn man einmal auf solch einer Kuhweide war, weiß man, dass man eigentlich nur Käse und Milch von solchen Kühen haben möchte. Wahrlich fantastische Bedingungen von glücklichen Kühen. Nach dem einstündigen Abstieg haben wir eine Pause benötigt, den Wetterbericht gecheckt und einige Müsliriegel gegessen.

Ein Mit-Wanderer, den wir schon am “Rauheck” getroffen hatten, haben wir dort auch wieder getroffen. Er hatte sich leider verlaufen und eine Stunde Umweg in Kauf genommen. Auf dieser Strecke mehr als ärgerlich und so ergab es sich, dass wir gemeinsam bis zum Prinz-Luitpold-Haus gewandert sind. Es ist schwer in Worte zu fassen, aber es gab noch einige Anstiege und Abstiege zwischendurch, zwischenzeitlich ekliges Wetter und weitere Aufstiege, die nie enden wollten.

Wenn du nicht die Berge bezwingst, bezwingen sie dich

Der letzte Aufstieg wollte tatsächlich nicht enden. Es war die größte Herausforderung auf unserer Tour, denn wir konnten nicht mehr. Wir sind beide keine Menschen, die leichtfertig aufgeben. Aber jetzt waren wir beim “Point Zero” angekommen. Nicht nur die Beine haben gestreikt, sondern auch der Kopf. Diese Kombination hatte ich zuvor noch nie erlebt: Das komplette System war im Streik. Keine Ahnung für was, vermutlich für bessere Arbeitsbedingungen, mehr Pausen, besseres Mittagessen und mehr Urlaub. Moment. Das ist doch unser Urlaub!
Das Ziel war immer noch nicht in Sicht, wir waren über 9 Stunden unterwegs. Völlig ausgelaugt und fertig. Asthmaspray musste gegen die Panik genutzt werden, die Tränen waren vom Schweiß sowieso nicht mehr zu unterscheiden. Wir waren unserem Mit-Wanderer unfassbar dankbar, weil er uns die ganze Zeit mitgezogen hatte, aber wir brauchten eine Pause. Wäre Klaus Kinski aufgetaucht um uns zu motivieren, hätten wir ihn ignoriert und ausgelacht. Es. Ging. Einfach. Nichts. Mehr.
Eine Mischung aus Krisen- und Motivationsgespräch wurde geführt. Der “Power-Riegel” wurde zum Not-Riegel, das restliche Wasser und Bananen wurden inhaliert. Das sind sie also, die Momente, die einen Zusammenwachsen lassen. Hatte ich mir zuvor eine Spur romantischer vorgestellt, aber diesen Moment werde ich nie vergessen: Wenn du einfach nicht mehr weiter kannst, aber deine Zelte dort trotzdem nicht aufschlagen kannst, wird es mit der Motivation irgendwann wirklich, wirklich schwierig.

Endspurt

Nach gegenseitigem Zureden, eventuell war sogar ein, zwei Flüche dabei, haben wir die allerletzten Kräfte mobilisiert. Es ging selbstverständlich weiter hinauf, bis der beste Satz des Tages fiel: “Ich sehe die Hütte!”. Obwohl nochmal ein halbstündiger Anstieg bis zum Prinz-Luitpold-Haus auf uns warten sollte, waren wir überglücklich. Wir waren 11 Stunden unterwegs und haben 1450 Höhenmeter überwunden. Das erlösende Gefühl, die Wanderschuhe endgültig für diesen Tag auszuziehen, die Socken in der Sonne trocknen zu lassen und nur noch Barfuss zu gehen, war unfassbar. Wir waren regelrecht glücksbesoffen. Am Ziel. Wir haben uns und diese Strecke überwunden.
Das frisch gezapfte Bier in Verbindung mit den Käsespätzle waren pure Glückseeligkeit. Die anschließende Dusche fühlte sich wie ein ewiger (in Wirklichkeit zweiminütiger) Wasserfall an und wir fielen um 20.30 Uhr ins Bett.

Zwar wussten wir vorher, dass das ein Ritt wird. Damit haben wir allerdings nicht gerechnet und wir sind an diesem Tag mehrmals über uns hinaus gewachsen. Ich bin unglaublich stolz darauf, dass wir das geschafft haben. Schmerzgrenzen sind anscheinend dafür da, um mehrfach überwunden zu werden.

Danke, Anni. <3

16 km / 1450 Höhenmeter / 11 Stunden

 

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